Ein neuer Trend: Slow Travel – damit es beim Reisen wieder ums Reisen geht
Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als das Reisen so mühelos war, dass wir mit einem Minimum an Planung und ohne vorher viel zu überlegen zwischen den Kontinenten hin- und herreisen konnten? Es ist noch nicht einmal tausend Tage her, dass eine Weltreise nur ein paar Klicks für ein Rund-um-die-Welt-Ticket erforderte und ein paar Handgriffe für das Packen des Handgepäcks.
Nach Angaben der Welttourismusorganisation ist die Zahl der Anreisetage seit den 1950er-Jahren weltweit stetig gestiegen. 2019 betrug sie 1,5 Milliarden. Das war ein Rekordjahr mit einem Anstieg von 4 % gegenüber dem Vorjahr. Gleiches wurde für 2020 erwartet. Doch dann kam es zur langen Unterbrechung durch die Pandemie, und die Zahlen fielen um 73 % unter den Stand von 1989. Der Wandel war abrupt und betraf die Branche wie auch die Einstellung der Reisenden.
Die Zukunft des Reisens, so wie wir es kannten, wurde zur großen Unbekannten. Die sich ständig verändernden Testregeln, Einreisebestimmungen und Flugpläne machten es für uns schwer, unseren Globetrotter-Gelüsten zu frönen.
Aber plötzlich traten die guten Dinge in den Vordergrund, die passieren, wenn wir es mit dem Reisen nicht so übertreiben. Nun schwärmten die Einheimischen in touristischen Hotspots wie Dubrovnik davon, die Stadt wieder für sich zu haben. Die Fotos von Fischen in den Kanälen von Venedig schwirrten so schnell um den Globus, wie es die Reisenden einst taten. Berichte über die Kohlenstoffemissionen im Jahr 2020, die endlich mit dem Pariser Abkommen von 2015 in Einklang standen, wurden zum Thema in den Medien. „Diese Zeit hat wirklich die Frage aufgeworfen, ob die Menschen überhaupt reisen sollten. Und falls ja, wie sie dies auf eine achtsamere Art und Weise tun können. Das bildet die Grundlage dafür, dass Slow Travel alltäglicher wird“, sagt JoAnna Haugen, Gründerin von Rooted, einer Lösungsplattform an der Schnittstelle von Storytelling, Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Auswirkungen.
Slow Travel ist nicht neu. Bereits mit der Slow-Food-Bewegung, die in den späten 1980er-Jahren in Italien aufkam, begann Slow Travel als Suche nach CO2-armen Alternativen zu Flügen und Autofahrten. Aber seit die Jagd nach der Bucket List in den Massentourismus Einzug hielt, stand der Begriff auch für einen langsameren Konsum. „Das Herzstück des langsamen Reisens liegt im Wort selbst − sich buchstäblich zu entschleunigen, indem man sich mehr Zeit nimmt, um die Reiseziele kennenzulernen, nicht von Ort zu Ort zu hetzen, sondern Prioritäten zu setzen, anstatt alles machen zu wollen. Aber es geht auch darum, sich bewusst Zeit für Selbstreflexion und kritisches Nachdenken über das Reisen zu nehmen“, erklärt Haugen.
Für Charlie Brown, eine freiberufliche Autorin, die jetzt dauerhaft langsam reist, ist „Slow Travel vor allem eine Geisteshaltung“. Im Oktober 2020 verkauften Brown und ihr Mann das Weingeschäft, das sie acht Jahre lang geführt hatten, um Teil der weltweit wachsenden Gemeinschaft der digitalen Nomaden zu werden. „Wir verbringen gern mindestens einen Monat an jedem Ort“, sagt Brown. Doch die Pandemie hielt die Browns fünf Monate lang in Spanien und drei Monate in Kroatien fest.
Während ihres Aufenthalts in Kroatien nahm Brown an dem ersten einmonatigen Digital-Nomads-in-Residence-Projekt in Dubrovnik teil, wo sie an einer Reihe von Workshops mitarbeitete. Die Idee dahinter war, Wege zu finden, wie Dubrovnik digitalen Nomaden besser gerecht werden könne, aber auch grundsätzlich, wie das Tourismusangebot zu diversifizieren sei. „Wir hatten das Glück, Menschen zu treffen, die in Kroatien leben und es lieben, die uns das Land so zeigen konnten, wie es wirklich ist. Aber wir trafen auch auf eine blühende Nomadengemeinschaft“, so Brown. Die Vorteile des Slow Travels seien nicht von einem Zeitfenster abhängig. Dazu gehöre auch, dass weniger Flugzeuge am Himmel flögen und dass man einen Mehrwert für die lokale Gemeinschaft schaffe, indem man an einem Ort lebt, anstatt dort nur Urlaub zu verbringen. „Es geht darum, sich die Zeit zu nehmen, einen Ort kennenzulernen. Es geht darum, unter die Oberfläche zu gehen, sich in eine Gemeinschaft einzufügen, und sei es auch nur für kurze Zeit, und dort einen Beitrag zu leisten“, sagt Brown weiter.
Zum Mehrwert des langsamen Reisens gehört heute auch eine sanfte Reiselogistik. Aber auch wenn die weltweiten Tourismuszahlen für 2021 eher an das langsame 2020 als an das eilige 2019 erinnern, warnt Haugen: „Es gibt zwar viele Menschen, die sich in naher Zukunft für langsames Reisen begeistern, aber genauso viele, die auf den Jetzt-erst-recht-Zug Richtung Tourismus aufspringen.“
Bevor wir unseren nächsten Flug buchen, empfiehlt Haugen, sich Zeit zu nehmen und sich zu fragen, warum wir irgendwohin reisen wollen und wie wir die Voraussetzungen für mehr Raum und Zeit schaffen können. „Die unvergesslichsten Momente auf Reisen sind oft nicht die, die in einem vollgepackten Reiseplan stehen. Es sind die unerwarteten Gespräche, die ungeplanten Streifzüge und die neuen Menschen, die Reisende treffen, weil sie sich Zeit und Raum dafür nehmen.“
Wenn man sich die Zeit nimmt, langsam zu reisen, wird das Reisen zur Reise. Eine Reise, die sich nicht nur für einen selbst lohnt, sondern auch für die Orte, die man besucht, die Menschen, die man trifft, und für diesen wunderbaren − und einzigen − Planeten, den wir haben.