Der Geschmack der Adria in einer Muschel
Casanova aß angeblich fünfzig davon zum Frühstück, und Kaiser Franz Joseph I. liebte die Austern von Mali Ston. Als Delikatesse für Liebhaber, Herrscher, Reisende und Einheimische in der Vergangenheit wie in der Gegenwart ist die Auster ein Muss bei jedem Kroatienbesuch.
Als ich von der Adria-Autobahn auf die Halbinsel Pelješac abbiege, eine Autostunde von Dubrovnik entfernt, öffnet sich eine enge Bucht. Ein Traum von Schiffbrüchigen: Das rein türkisfarbene Meer ist mit winzigen Inseln gesprenkelt, nicht mehr als ein Saum von Felsen und Flecken von Kiefern. Auf der glitzernden, ruhigen Oberfläche sind unzählige Bojen in schwimmenden Parks angeordnet.
Die Bucht von Mali Ston, die von der zweitgrößten Halbinsel Kroatiens umschlossen wird, erstreckt sich über 28 Kilometer. Eng, isoliert und geschützt ist sie ein Paradies für Muscheln – fast 90 Arten leben hier. „Nur zwei davon werden gezüchtet“, sagt Sveto Pejić. Er ist Besitzer der ältesten in Betrieb befindlichen Saline Europas, Solana Ston, und des Restaurants Vila Koruna, mit Blick auf die Bucht.
„Austern und Muscheln lieben es hier. Die Bucht ist brackig; es gibt einen großen Zufluss von Süßwasser vom Fluss Neretva und von Unterwasserquellen. Außerdem ist die Bucht sehr ruhig; Austern mögen keinen großen Wellengang. Und sie ist sauber.
“Mali Ston ist in der Tat einer der letzten intakten Lebensräume der Ostrea edulis, der essbaren Auster. Im Restaurant Vila Koruna werden die Austern den Gästen auf elf verschiedene Arten zubereiten: frisch auf Eis mit einem Tropfen Zitrone oder Wildorange, gegrillt, gebacken oder frittiert, in einer Suppe oder mit sechs verschiedenen Soßen (Meerfenchel, Minze, Basilikum, Dill, Pošip-Weißwein und Dingač-Rotwein). „Unsere Austern erfrischen, beruhigen und verführen zur Liebe“, fügt Pejić mit einem Lächeln hinzu.
Ein paar Meter von der Vila Koruna entfernt, steige ich von der steinernen Riva (der Uferpromenade) auf ein Holzboot, das schon seit Jahrzehnten auf Fahrt ist. Es ist die verkörperte Tradition. Mein Gastgeber auf der Fahrt ist Antonio Mihočević, Austern- und Muschelzüchter in vierter Generation, der seine Seemannskarriere gegen die Fortführung des Familienbetriebs eingetauscht hat. „Mein Urgroßvater war der Erste, der Austern züchtete, und mein Großvater eröffnete einen kleinen Laden und eine Probierstube. Jetzt biete ich Bootstouren für Leute an, die unsere Farmen besuchen und sehen möchten, wie wir arbeiten.“
Als wir uns vom Ufer entfernen, schenkt er mir einen Walnusslikör ein und serviert mir ein paar Broštulani Mjenduli (kandierte Mandeln), eine traditionelle lokale Knabberei. Mali Ston mit seinen eng gereihten Steinfassaden bietet ein malerisches Panorama: Die Stadt wird von Mauern aus dem 14. Jahrhundert überragt, die sich fünf Kilometer weit bis zur Stadt Ston erstrecken und in der Vergangenheit zum Schutz der wichtigen Salinen errichtet wurden. Wir kommen an einer Insel mit einer kleinen Kirche vorbei, aber ich sehe hier keine neueren Bauten. Die Bucht steht seit 1983 unter Schutz; 2002 wurde ihr Status zu einem besonderen Meeresschutzgebiet aufgewertet.
Und dann ist das Boot plötzlich von schwarzen Bojen umgeben, Hunderten von Bojen. Wir sind auf der Farm. Mit geschickter Bewegung zieht Antonio eine Leine aus dem Meer. An der Leine hängt ein Bündel langer Plastikschnüre mit Austernbabys daran, etwa so groß wie eine Euromünze, die in der Sonne glänzen. „Das ist die zweite Phase im Wachstumsprozess“, sagt er. „Sie beginnt weiter unten in der Bucht, näher am offenen Meer. Austern sind Zwitter; einige geben ihre Geschlechtszellen ab, andere sammeln sie ein. Die Larven werden dann ins Meer entlassen. Die schwimmen eine Weile, dann sinken sie auf den Meeresboden, wo sie sich an diesen Kollektoren aus Plastik festsetzen“.
Das Bündel in seiner Hand ist ein in Stücke geschnittener Kollektor. „Wir ziehen es vor, sie auf natürliche Weise wachsen zu lassen, aber das ist nicht immer möglich. Die Fische fressen sie wie Snacks.“ Um dies zu verhindern, musste Antonio die gesamte Farm mit Netzen abzäunen.
Wir gleiten ein paar Bojen weiter, und Antonio zieht eine käfigartige Kunststoffkiste hoch. „Wenn die Netze nicht wirken, müssen wir die Jungaustern von den Kollektoren nehmen und sie in diesen Kisten unterbringen, bis sie ein wenig gewachsen sind“, erklärt er. Dann werden sie an Seilen befestigt und reifen zu ihrer Marktgröße heran. Insgesamt dauert das etwa zwei bis zweieinhalb Jahre. „Bis sie auf dem Teller landet, ist jede Auster mindestens fünfmal in die Hand genommen worden. Das ist eine Menge Arbeit, wenn man es richtig macht.“ Während er spricht, nimmt Antonio lässig ein Dutzend Austern von einem Seil und beginnt sie zu öffnen. Es sieht so einfach aus. „Du musst das dünnste Messer nehmen, das du hast. Schieb es hinein und wackel vorsichtig mit ihm, um den Muskel zu treffen. Dann springt sie einfach auf.“
Die Auster ist beim Biss saftig und zergeht auf der Zunge. Vom Meer direkt auf den Tisch – hier verschwimmen die Grenzen. Das Meer ist der Tisch, und man kann es schmecken.
Die Auster, die perfekt zu einem Schluck Pošip-Wein passt, ist die Essenz dieser Region; ein Beleg für den Reichtum, der aus einem Leben in Einklang mit der Natur resultiert. Jährlich werden etwa zwei Millionen Exemplare produziert: Zwei Millionen Gelegenheiten, das Beste zu kosten, was Kroatien zu bieten hat.
Der Lim-Kanal
Wenn Sie in Istrien unterwegs sind, haben Sie Glück: Auch Austern lieben den Lim-Kanal, der das Westufer der größten kroatischen Halbinsel durchschneidet. Als Teil des Lim-Tals erstreckt sich der Kanal zwölf Kilometer tief ins Festland hinein und wird von steilen, üppig grünen Hängen flankiert.
Auch als Fjord bezeichnet, ist diese vom Fluss überschwemmte Schlucht aus denselben Gründen wie Mali Ston für Austern geeignet: Sie ist ruhig und sauber. Sie können die Austern auf den Farmen oder in den Restaurants am Kanal in vielen verschiedenen Zubereitungsarten probieren; aber kombinieren Sie die Austern unbedingt mit dem berühmten istrischen Weißwein Malvazija.